Auf den Spuren der Wale – Reisebericht [Gastbeitrag]

Der heutige Gastbeitrag stammt von Barbara Bellmann und handelt von ihren Erlebnissen, die sie letztes Jahr in Kanada zusammen mit Walforschern am Sankt-Lorenz-Golf gemacht hat.
Auch ich war bereits einmal in dieser Gegend bzw. in der Nähe davon, wie ich in meinem Kanada Rundreise Artikel kurz anschneide. Wale habe ich damals aber nur von Land aus beobachten können.
Umso interessanter ist daher einmal die Sichtweise von Barbara, die den Walen noch viel näher kam und intensiver erlebte.

Ausgerüstet mit meinem Rucksack und einem Koffer machte ich mich im September 2016 von Berlin aus auf den Weg nach Kanada, um mich auf die Spuren der Wale im Sankt-Lorenz-Golf zu begeben. Nach dem Flug nach Montreal über Amsterdam landete ich in einem kleinen Flugzeug in dem beschaulichen Sept-Îles, wo ich von den Forschern der Mingan Island Cetacean Study (MICS) herzlich in Empfang genommen wurde. MICS ist eine gemeinnützige Forschungsorganisation mit Sitz in Kanada und den Vereinigten Staaten, die sich mit ökologischen Studien von Meeressäugetieren und marinen Ökosystemen beschäftigt. Gegründet wurde es 1979 von Richard Sears. MICS ist die erste Organisation, die Langzeitforschung von Walen im Golf von St. Lawrence durchführt hat. Das Team besteht aus über 15 internationalen Forschern vor Ort, welche soweit das Wetter es zulässt den Sommer auf dem Wasser verbringen um die Meerestiere zu beobachten und zu kategorisieren.

Am nächsten Morgen ging es nach einer kurzen Nacht um 7.00Uhr, nach einem köstlichen Frühstück bestehend aus warmen Blaubeermuffins und einem Café au lait, direkt mit dem Zodiac-Forschungsboot raus auf den Sankt-Lorenz-Golf. Vor der Fahrt erhielt ich eine ausführliche Einführung in das Tagesprogramm und die Verhaltensregeln an Bord von dem Teamleiter und Kapitän. „Eine Hand für sich selbst und eine am Boot“ – so endet sein Vortrag und ich schlüpfte in den roten Überlebensanzug in froher Erwartung auf den bevorstehenden Tag. Das Team an Bord bestand aus dem Teamleiter und zwei aufstrebenden Meeresbiologinnen. Ich durfte direkt vor dem Steuer sitzen, was in den folgenden 10 Tagen mein Stammplatz wurde. Vor dort hatte man nicht nur einen unvergesslichen Blick sondern es wehte einem auch die Meeresbriese um die Nase, während das Forschungsboot über die Wellen flog.

Nachdem wir den kleinen Hafen verlassen hatten, zeigten sich bereits die ersten Tiere. Ich konnte Seevögel und Seehunde aus nächster Nähe beobachten. An einem der Folgetage trafen wir auf eine große Gruppe von Seehunden, die auf der Jagd waren. So nah war es mir nie möglich gewesen und bislang auch nicht mehr möglich, diese Tiere in freier Wildbahn zu beobachten. Die Meeresbiologen gingen routiniert ihrer Arbeit nach und dokumentierten wo und wann welches Tier gesichtet wurde. Sie wurden jedoch nie Müde meine Fragen zu beantworten. Nach dem Verlassen der Inselgruppe wurde des Meer unruhiger und der Wind stärker. Bei strahlendem Sonnenschein zeigte sich der Sankt-Lorenz-Golf von seiner besten Seite. Unermüdlich kämpfte sich das kleine Forschungsboot durch die Wellen. Bereits nach einer Stunde wurde es aufregend auf dem Boot. Der Teamleiter hatte einen Blas entdeckt auf welchen wir Kurs nahmen. Der Blas ist die nach dem Tauchvorgang ausgeatmete Atemluft von Walen, welcher bei ausreichend ruhigem Seegang als Fontäne am Horizont sichtbar wird. Am ersten Tag erschien es mir wie ein Wunder, dass die Forscher ihn entdecken konnten. In den folgenden Tagen und auch durch die Erklärung der Forscher bekam ich jedoch einen Blick dafür und entdeckte auch den einen oder anderen Blas. Trotzdem ich fachfremd und eine Urlauberin war, gaben die Forscher mir immer das Gefühl dazuzugehören und es entwickelte sich ein freundschaftlicher Austausch, der immer noch besteht und den ich sehr schätze.

Fotoidentifikation der Schwanzflosse

Nachdem wir einer gewissen Zeit dem Blas gefolgt waren wurde plötzlich neben dem Meeresrauschen ein Prusten und ein dumpfes Dröhnen hörbar. Der Teamleiter drosselte das Tempo und stoppte den Motor dann ganz, so dass das Boot nur von den Wellen getrieben wurde. Es wurde ganz still im Zodiac und alle starrten wie gebannt auf das Wasser, jeder auf eine andere Seite damit jeder Winkel abgedeckt war. Plötzlich gab eine der Meeresbiologinnen ein Zeichen und an der Stelle auf die sie im Wasser zeigte wurde ein Buckelwal sichtbar. Ich sah meinen ersten Wal und dann noch aus nächster Nähe in freier Wildbahn. Es war ein unfassbar tolles Gefühl, an dass ich mich immer noch erinnere. Von diesen großen Tieren geht eine Aura aus, die sich gar nicht so recht in Worte fassen lässt. Während die Meeresbiologin die Kamera zückte, startete der Teamleiter den Motor und wir folgten dem Wal in einem ausreichenden Abstand, um das Tier nicht zu stressen. Nachdem genug Bilder geschossen wurden stoppte das Boot und die Fotos wurden gesichtet. Ein Forschungsschwerpunkt von MICS ist die Fotoidentifikation. Jedes Tier hat eine individuelle Schwanzflosse. Durch individuelle oder erworbene Unterschiede, zum Beispiel durch Verletzungen, ist es möglich ein Tier sicher zu identifizieren. So kann dokumentiert werden wo und wann sich welches Tier befindet. Wanderungsverhalten und auch ganze Familienstammbäume können so erstellt werden. So durfte ich in den folgenden 10 Tagen zum Beispiel Trinity, Easyrider und X-Mas kennenlernen. Für die Forscher waren es alte Bekannte für mich jedes Mal eine beeindruckende Erstbekanntschaft. Jeder Wal hatte seinen Namen durch spezielle Eigenschaften der Flosse durch die Entdecker erhalten. Flosse, Namen und weitere Informationen füllen ganze Datenbänke, die nach dem Tag auf dem Wasser von den Forschern in mühevoller Kleinarbeit gepflegt werden. Aber der Tag war noch nicht vorbei. Nach einem Lunch an Bord setzen wir unsere Tour fort. Immer wieder stoppte das Boot an wichtigen Punkten und der Horizont wurde nach einem Blas oder anderen Hinweise auf ein Meereslebewesen abgesucht. Wir hatten großes Glück an dem ersten Tag wie auch an den folgen Tagen entdeckten wir Blauwale. Diese waren schon seit einiger Zeit nicht mehr in dem Gebiet gesichtet worden. Elegant glitten die Tiere durch das Wasser und die Sonne spiegelte sich auf ihrem Rücken. Auch hier erfolgte eine Fotoidentifikation jedoch des Rückens und nicht der Schwanzflosse. Eine individuelle Färbung des Rückens ermöglicht auch hier die sichere Identifizierung der Tiere, wie bei einem Fingerabdruck. Zudem wurden Wasser und Kotproben genommen und auch Biopsien wurden mit Armbrust entnommen, für eine weitere genetische Untersuchung der Tiere. Es war faszinierend die Forscher bei der Arbeit zu beobachten und für mich ein ganz besonderes Urlaubserlebnis. In den weiteren Tagen konnte ich Blau, Buckel, Finn- und Zwergwale beobachten. Jedes Mal war es etwas ganz Besonderes, wenn so ein großes, prustendes Geschöpf in der Nähe des Bootes auftauchte und seinen Blas in die Luft stieß.

Am späten Nachmittag als die Sonne anfing unter zu gehen machten wir uns auf den Heimweg. Die Luft wurde kühler und das Meer und der Horizont mit der untergehenden Sonne waren jedes Mal ein wunderschönes Naturschauspiel. Im Boot war eine ruhige und entspannte Stimmung und jeder freute sich auf etwas zu Essen und eine warme Dusche nach der getanen Arbeit. Nach dem Ausladen der Boote ging es nach Hause und sobald ich aus meinem roten Überlebensanzug geschlüpft war konnte ich den nächsten Tag kaum abwarten. Jeden Morgen wenn um 6.00 Uhr der Wecker klingelte stürmte ich zum Fenster in der Hoffnung eine Wetterlage zu erspähen, die eine weitere Forschungsfahrt möglich machte. Ich hatte Glück, während meines Aufenthaltes in Sept-Îles war es fast täglich möglich auf dem Wasser zu sein. Die wenigen Regentage verbrachte ich in der Forschungsstation, wo ich viel über die verschiedenen Walarten und die Arbeit von MICS erfahren durfte. Die Zeit verging viel zu schnell und die Abreise kam überraschend plötzlich. Ein großer Teil des Teams fuhr mich zum Flughafen, wo ich genauso herzlich verabschiedet wurde, wie ich zu Beginn in Empfang genommen worden war – eine unvergessliche, besondere Zeit an die ich weiterhin viel denke.

 

Bericht von Barbara Bellmann
(www.barbarabellmann.berlin)

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